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„Geh bitte, noch so a Piefke“: Wie ich als deutsche Texterin in Österreich überlebe

Vor über elf Jahren bin ich nach Wien gekommen. Dass ich wie ein Zugvogel gen Süden geflogen bin, hat eigentlich jeden und jede, der oder die mich näher kannte, in Erstaunen versetzt. „Ich dachte, du gehst nach Hamburg, Rostock oder so.“ Eine, die schon als Kind in Norwegen Dorsch geangelt hat, und jedem Schietwetter mit der passenden Kleidung die Stirn geboten hat, ist doch ein verkappter Fischkopp. Ein Nordlicht. „Was willste denn in Wien?“

Noch so ein NC-Flüchtling?

Mit meinen zwanzig Jahren auf dem Buckel und den Aufführungen vom hervorragenden Schauspielhaus (unter der Führung von Tobias Wellemeyer) im Kopf habe ich in Magdeburg Blut geleckt. Vom Theater. Aber so richtig festlegen wollte ich mich auf die Bühne – oder besser auf das Arbeiten hinter der Bühne (ich wollte keine Schauspielerin werden) nun auch wieder nicht.

Da kam mir das Studienangebot Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien gerade recht. Das gab’s in der Art in Deutschland nicht, wo ich mich an diversen Unis für Film- oder Theaterwissenschaft ebenfalls beworben hatte, und – auch überall angenommen wurde. Also kein typischer NC-Flüchtling. Abischnitt 1,5. Also eine ganz passable „Matura“, wie Herr oder Frau Österreicher sagen würde.

Wieso ausgerechnet Wien? Das Kombistudium klang einfach zu verführerisch. Also ab in den Süden! Dabei waren meine „südlichsten Erfahrungen“ bisher ein Portugal- und ein Bayernurlaub gewesen. Letzterer endete auf der Rückfahrt, kurz hinter Hof, mit der kindlich ernstgemeinten Frage an meine Mutter: „Sind wir schon wieder in Deutschland?“ Denn der Bayer oder die Bayerin sagt „Grüß Gott“ zur Begrüßung. Wieso eigentlich? Will er oder sie doch damit mir hallo sagen – und nicht dem lieben Gott. Ich konnte ja nicht ahnen, was in Wien noch auf mich zukommen würde!

Als der typische Piefke (abschätziger Spitzname für Menschen deutscher Herkunft im Allgemeinen; geht zurück auf General Piefke, der am Krieg gegen Österreich im 19. Jahrhundert teilgenommen hat) kam ich her. Als ahnungslose Deutsche mit null Vorwissen, aber einem Kopf voller fixer Ideen, wie Wien, diese große Theaterstadt, wohl sein würde. Naiv, wie ich war, bin ich davon ausgegangen, dass in Österreich deutsch gesprochen wird. Ja, aber was für ein Deutsch!

A echter Bitzgneißer bist du Koffer

Ich habe jeden Anfängerfehler gemacht, den man als Deutsche in Wien so machen kann. Ich habe nicht mal „Hackfleisch“ an der Feinkosttheke bestellt, sondern, schlimmer noch, „Gehacktes“. Na, wenigstens habe ich mir „Jehacktes“ verkniffen. Nach kurzem Überlegen gibt mir die mürrische Verkäuferin „Faschiertes meinan Sia?“ zurück und fragt: „Wie viel Deka, bittschön?“ Mein Schädel rattert. Moment mal, du hast ja ein Graecum. Deka. Doch ob das wirklich damit zu tun hat? Na ja, ich ordere also 200 Deka(gramm) „Faschiertes“ und nehme schließlich einen 2-Kilo-Berg Hackfleisch mit heim. Das soll mir eine Lehre sein.

Wie hat es eine luxemburgische Kommilitonin einst so schön zusammengefasst: „Ich habe ja Deutsch in der Schule gehabt! Und dann komme ich her und alles heißt anders. Blumenkohl – Karfiol. Was ist das?“

Ja, „Wien ist anders“. So ein Stadtslogan, den ich als Deutsche aus dem Land der Frühaufsteher (Sachsen-Anhalt) verinnerlicht habe, denn er stimmt, auch wenn er so, wie ich ihn verstanden habe, sicher nicht gemeint war. „Wien ist anders“ hat immer einen ironischen Beigeschmack.

Meine Lernkurve ging sprunghaft nach oben, als ich mit meinem ersten studentischen Nebenjob anfing. In einem Wiener Traditionsteehaus. Die Nobelhobel-Kundschaft aus Russland war mir dabei lieber als die österreichische. Wegen der Sprachbarriere. Längst konnte man da nicht nur Tee trinken, sondern auch sein Seidel, Krügerl oder Pfiff Bier. A Wiener Melange oder auch a Soda Himbeer (g’spritzt). Bitte was?!

Was a Topfen! Tatsächlich finden sich die meisten sprachlichen Unterschiede beim Essen. Die Österreicher*innen sind gemeinhin Genussmenschen und haben für alles von der Apfelschorle (Obi g’spritzt) bis zur Sahne (Obers) ihre eigenen Namen für das, was ihnen schmeckt oder nicht.

Da stehst du schnell als Koffer da. Nicht als stehengebliebenes Gepäckstück, sondern als ein Idiot. Oder als Blitzgneißer, weil du nur die Hälfte verstehst. Das muss nicht mal zwingend deine Schuld sein. Zum Wiener Schmäh gehört es auch, den oder die Deutsche liebevoll an der Nase herumzuführen.

Und dann wirst du Texterin in Wien

Wer sich nicht in seine deutsche Clique verzieht (und die Verführung mag groß sein), findet sich jedoch schnell im österreichisch-deutschen Sprachdschungel zurecht. Aber Alltäglichkeiten wie „Semmel“ statt „Brötchen“ zu sagen, ohne am Ende des Tages das Gefühl zu haben, seine Identität verloren zu haben, sind Kleinigkeiten verglichen mit der Tätigkeit als Online-Redakteurin oder Texterin in Wien.

Schon beim Erstgespräch am Telefon musst du dich darauf gefasst machen, dass man dich vermutlich nicht ganz ernstnimmt. Leider ist es an dir unter Beweis zu stellen, dass du „Kasten“ nicht nur als „Box“ kennst, sondern in Österreich auch als „Schrank“. Oder dass „Polster“ nicht nur den Füllstoff im Sofa, sondern hier auch die Dekokissen auf der Garnitur meint. Übrigens wird dann zwischen Polster (das, Neutrum) für Füllstoff und Polster (der, Maskulinum) für Kissen unterschieden. Ja, die Sache mit den Artikeln fand ich wesentlich schwerer, als „Jänner“ von „Januar“ zu unterscheiden.

Wer in der Texter*innenwelt in Österreich überleben will, muss seinen Sprachschatz an Austriazismen nicht nur erweitern, sondern konsequent einsetzen. Die wohl größte Herausforderung ist die Kontinuität im Schreiben, so dass Du am Ende nicht doch zurück in „tschüss“ & Co verfällst. Hier sagt man halt „Baba“ oder (es schmerzt in meiner Seele) „Bussi, baba“. Spätestens bei der Verabschiedung werde ich als Deutsche enttarnt und fälschlicherweise für eine Norddeutsche gehalten, aber eigentlich geht es bereits mit der Begrüßung los.

Dabei komme ich aus Mitteldeutschland. Aber anscheinend liegt Magdeburg trotzdem jenseits des Bussi-Bussi-Äquators. Dort gibt man sich die Hand oder, wenn man sich wirklich gut kennt (und mag), kommt eine Umarmung. Der Österreicher und die Österreicherin scheißen sich da nix: Du wirst schon beim ersten Treffen auf beiden Wangen „abgebusserlt“.

Mittlerweile genieße ich den Spagat zwischen Austriazismen und heimischem Dialektschreiben, wo dann auch mal das „g“ gegen „j“ getauscht werden darf. Trotzdem sind die meisten meiner Kunden und Kundinnen aus Deutschland. Hat sich so ergeben. Denn trotz „Bussi-Bussi-Kultur“ muss man sich das Vertrauen, dass man „bilingual“ schreiben kann, erst einmal verdienen. Und die Sache mit der und das Polster hat mich eben verraten. Ich kann eben nicht leugnen, wo ich herkomme, will und muss ich aber auch nicht – Wiener Schmäh sei Dank. Man hat hier ja Humor, wenn auch einen etwas derb-schwarzen.

Egal, wo du gerade sitzt, gerne liefere ich dir fluffige Textchen oder leicht verdauliche Leseschmankerl. Schreib mir einfach an hallo@wort-katalog.de.

2 Gedanken zu „„Geh bitte, noch so a Piefke“: Wie ich als deutsche Texterin in Österreich überlebe“

  1. Hallo! Es hat mir sehr gut gefallen zu lesen das war noch dazu sehr unterhaltsam und man lernt ja immer was neues 🙂 , ich wollte jetzt einmal was fragen und zwar, ich hätte gern gewusst wie man auf Hochdeutsch „geh bitte!“ und „das geht sich nicht aus“ sagt.
    Danke im Voraus
    Mit freundlichen Grüßen
    Romel 🙂

    1. Hi Romel,

      ersteres ist ja ein Ausruf. Im Standarddeutschen wäre das wohl so etwas wie „Ach was!“. Da käme es aber wirklich auf den Kontext an. Das lässt sich nicht pauschal ins Standarddeutsche übertragen, würde ich sagen.

      Ein ähnliches Beispiel ist speziell in Wien „joa eh“. Je nach Betonung kann das ganz unterschiedliche Bedeutungen annehmen.

      „Das geht sich aus“ ist hingegen schnell mal „übersetzt“: „Das klappt“, „Das funktioniert“ oder „Wir schaffen das“ sind da z. B. Möglichkeiten, die in Deutschland verstanden werden.

      Viele Grüße
      Eva

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